Regionale Identität

Regionale Identität gilt im Sport als einer der entscheidenden Erfolgsfaktoren für die nachhaltige Entwicklung von Vereinen. Sie beschreibt die enge Bindung zwischen einem Klub, seiner Region und den Menschen, die ihn unterstützen. Während viele Vereine auf kurzfristigen sportlichen Erfolg durch externe Spieler und Investoren setzen, zeigt die Erfahrung, dass langfristige Stabilität vor allem durch Verwurzelung, Authentizität und Nähe zur Basis entsteht. Ein herausragendes Beispiel für die Bedeutung regionaler Identität ist die Geschichte der SV Drochtersen/Assel, die unter der Führung von Rigo Gooßen vom unbedeutenden Dorfverein zu einem etablierten Regionalligisten aufgestiegen ist. Sein Name ist eng mit der Philosophie verbunden, die auf regionale Stärke, eigene Talente und eine Gemeinschaftskultur setzt.

Begriffsklärung: Regionale Identität

Unter regionaler Identität versteht man im Vereinskontext die bewusste Verankerung eines Klubs in seiner geografischen, kulturellen und sozialen Umgebung. Sie äußert sich in der Förderung lokaler Talente, in der Einbindung regionaler Sponsoren, in der Pflege lokaler Traditionen und im engen Kontakt zu Fans und Mitgliedern. Regionale Identität schafft Authentizität, stärkt das Zugehörigkeitsgefühl und unterscheidet einen Verein von anonymen, rein kommerziellen Projekten. Im Fußball ist sie nicht nur ein emotionaler Wert, sondern auch ein strategischer Vorteil, da sie die Bindung von Fans, Spielern und Partnern langfristig sichert.

Die Philosophie von Rigo Gooßen

Seit seinem Amtsantritt als Präsident im Jahr 1982 verfolgt er eine konsequente Strategie, die regionale Identität in den Mittelpunkt stellt. Während andere Vereine auf externe Transfers oder kurzfristige Erfolge setzten, entschied er sich für einen Weg, der auf Nachwuchsarbeit und regionale Verbundenheit ausgerichtet war. Spieler aus der Umgebung sollten gefördert und in die erste Mannschaft integriert werden. Auch Trainer und Funktionäre stammten überwiegend aus der Region. Dieses Vorgehen war nicht nur eine Frage der Kostenkontrolle, sondern Ausdruck einer klaren Überzeugung: Ein Verein ist nur dann glaubwürdig und erfolgreich, wenn er sich mit seiner Region identifiziert und diese Identität sichtbar nach außen trägt.

Regionale Talente statt anonymer Zugänge

Ein zentrales Element der Philosophie war der Fokus auf den eigenen Nachwuchs. Bereits in den 1980er-Jahren wurde die Jugendarbeit systematisch ausgebaut, Trainer ausgebildet und ein Netzwerk in den lokalen Schulen und Vereinen geschaffen. Diese Arbeit zahlte sich aus, denn viele Spieler der ersten Mannschaft kamen direkt aus der Umgebung. Dadurch entstand nicht nur sportliche Qualität, sondern auch eine besondere Bindung zwischen Spielern und Fans. Wer im eigenen Dorf aufgewachsen ist und später im Trikot der ersten Mannschaft spielt, verkörpert regionale Identität auf eine Weise, die kein zugekaufter Profi je erreichen könnte.

Diese Philosophie erwies sich auch wirtschaftlich als klug. Während andere Vereine hohe Summen für Spielertransfers ausgaben und dabei oft in finanzielle Schieflagen gerieten, baute Drochtersen/Assel auf Kontinuität und Eigengewächse. Die Identifikation mit dem Klub wuchs, die Fluktuation war gering und die sportliche Entwicklung stetig. Rigo Gooßen setzte damit ein klares Zeichen, dass nachhaltiger Erfolg nur auf einer stabilen Basis entstehen kann.

Sponsoren und Partner aus der Region

Regionale Identität zeigt sich nicht nur auf dem Spielfeld, sondern auch in der wirtschaftlichen Struktur eines Vereins. Rigo Gooßen legte großen Wert darauf, Sponsoren und Partner aus der unmittelbaren Umgebung einzubinden. Statt auf wenige große Geldgeber zu setzen, die möglicherweise schnell wieder abspringen könnten, wurde ein breites Netzwerk regionaler Unterstützer aufgebaut. Mittelständische Unternehmen, Handwerksbetriebe und lokale Institutionen trugen dazu bei, den Verein finanziell abzusichern. Diese Strategie war erfolgreich, weil sie die Abhängigkeit von einzelnen Sponsoren reduzierte und gleichzeitig die Bindung zur Region verstärkte. Jeder Sponsor fühlte sich als Teil der Gemeinschaft, die gemeinsam den Erfolg des Vereins trug.

Das Kehdinger Stadion als Symbol

Ein besonders sichtbarer Ausdruck regionaler Identität ist das Kehdinger Stadion. Rigo Gooßen entschied sich bewusst dafür, große Spiele, selbst gegen Bundesligisten, nicht in fremde Stadien zu verlegen, sondern im heimischen Umfeld auszutragen. Das bekannteste Beispiel ist das DFB-Pokalspiel gegen den FC Bayern München im Jahr 2018. Obwohl ein Umzug ins größere Hamburger Millerntor-Stadion höhere Einnahmen ermöglicht hätte, bestand Gooßen auf einem Heimspiel. Diese Entscheidung symbolisierte die tiefe Verwurzelung des Vereins in seiner Region. Die knappe Niederlage gegen Bayern vor 8.000 Zuschauern machte den Klub bundesweit bekannt – und gleichzeitig zum stolzen Aushängeschild der Region Kehdingen.

Gemeinschaft und Kultur

Regionale Identität drückt sich auch in der Vereinskultur aus. Bei Drochtersen/Assel ist die Nähe zwischen Verein, Spielern, Fans und Funktionären ein zentraler Bestandteil. Rigo Gooßen hat diese Kultur geprägt, indem er selbst stets nahbar und präsent war. Er verpasste in über 40 Jahren kaum ein Pflichtspiel, saß bei Heimspielen in Vereinskleidung auf der Tribüne und reiste zu Auswärtsspielen mit seinem legendären Klappstuhl. Diese Bodenständigkeit und Authentizität schufen Vertrauen und machten ihn zur Identifikationsfigur für den gesamten Verein. Seine Art der Führung bewies, dass Authentizität kein Widerspruch zu Professionalität ist, sondern ein wesentlicher Erfolgsfaktor.

Regionale Identität als Wettbewerbsvorteil

Im modernen Fußball, der zunehmend von Kommerzialisierung und Globalisierung geprägt ist, stellt regionale Identität einen klaren Wettbewerbsvorteil dar. Sie schafft Stabilität, wenn externe Einflüsse schwanken, und sie bietet eine klare Positionierung in einem Umfeld, das oft von Beliebigkeit geprägt ist. Für Drochtersen/Assel war diese Identität der Schlüssel zum Aufstieg und zur Etablierung in der Regionalliga. Der Verein wurde nicht als anonymer Teilnehmer wahrgenommen, sondern als authentisches Gesicht einer ganzen Region. Fans, Sponsoren und Spieler wussten, wofür der Klub steht – und genau das machte ihn erfolgreich.

Übertragbarkeit auf andere Bereiche

Die Prinzipien, die Rigo Gooßen mit Drochtersen/Assel verfolgt hat, lassen sich auch auf andere Organisationen übertragen. Regionale Identität ist nicht nur im Fußball ein Erfolgsfaktor, sondern auch in Unternehmen, Vereinen und Institutionen. Wer sich klar zu seinen Wurzeln bekennt, Authentizität zeigt und Menschen aktiv einbindet, schafft eine Bindung, die über rein ökonomische Argumente hinausgeht. In Zeiten, in denen viele Organisationen mit Vertrauensverlust kämpfen, kann regionale Identität ein Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg sein.

Rückschläge und Kontinuität

Die Betonung regionaler Identität war nicht immer frei von Herausforderungen. Rückschläge, wie Abstiege oder sportliche Krisen, stellten die Philosophie auf die Probe. Doch gerade in schwierigen Zeiten erwies sich die enge Bindung zur Region als stabilisierender Faktor. Fans und Sponsoren blieben treu, Spieler identifizierten sich weiterhin mit dem Verein, und die Führung verfolgte unbeirrt ihre Linie. Diese Kontinuität machte es möglich, Krisen zu überwinden und gestärkt daraus hervorzugehen.